Sonntag, 18. März 2012

Theos Reise

Als er endlich in der Kutsche saß, sah Theo die beiden offiziellen Schriftstücke noch einmal durch. Er kannte die beiden Namen, er kannte die beiden Personen. Er hatte mit ihnen erst vor ein paar Tagen gesprochen. Er hatte mit fast allen Personen auf den Vorgängerlisten vorher gesprochen.
Theo war ein angenehmer Gesprächspartner, er war bei allen beliebt. Aber trotzdem mieden die Leute ihn. Der Grund dafür lag in den Reisen wie der heutigen. In diesen Reisen, die er seit dem Besitzerwechsel des Gutes Sandfeld häufig machen musste. Der neue Besitzer, der Baron Ludewig, wollte sich von den überflüssigen und den widerspenstigen Aufsehern trennen.
Heute musste Theo nach Birkenfeld, einer Domäne, die zum Gut Sandfeld gehörte.
„Guten Morgen, Theo, ich freue mich, dich zu sehen“ log der Verwalter von Birkenfeld. Alle blickten in seine Richtung, einige neigten schüchtern den Kopf, aber niemand lächelte. Theo bemerkte die kalte Atmosphäre, die seine Anwesenheit schuf.
Er sagte dem Verwalter: „Lass mir dein Büro und rufe Reinhard.“ Reinhard betrat das Büro, die Angelegenheit dauerte kurz. Um die Unmöglichkeit wissend, sein Schicksal abzuwenden, leistete er keinen Widerstand und wenige Minuten später lag seine Leiche ausgestreckt auf dem Boden. Die Diener von Birkenfeld beeilten sich, sie zu entfernen.
Kurz darauf betrat er Marens Büro. „Ich möchte mit dir reden.“ Panik trat in das Gesicht der Aufseherin. „Mit mir?“
Einige Minuten später verließ Theo das Büro. Allein. Und dieses Gefühl des Alleinseins wich auch nicht inmitten der Angestellten der Domäne: Niemand wagte, ihm in die Augen zu blicken. Nicht, dass sie nicht den Drang verspürten ihn zu fragen: „Was hast du da gemacht?“ oder „Wie viele von uns willst du noch besuchen?“ oder ihm zu sagen: „Du bist ein armer Wicht! Deine Arbeit würde ich nicht einmal für das Dreifache deines Lohnes machen!“ Aber niemand sagte ein Wort.
Der Verwalter begleitete ihn nach draußen, wünschte ihm eine gute Reise und fragte ihn ebenfalls nichts von dem, was er eigentlich wissen wollte.
Als seine Kutsche endlich hinter dem Horizont verschwand, ließ sie die Bewohner Birkenfelds traurig und besorgt zurück. Schweigend begruben sie die Überreste ihrer Ex-Vorseher.
Niemand wusste, wen es das nächste Mal treffen würde. Und daran, dass es ein nächstes Mal geben würde, daran zweifelte niemand.
Auch Theo zweifelte nicht daran. Er war sich nur nicht sicher, wann es ihn selbst treffen würde und wer derjenige sein würde, der „mit ihm reden möchte.“

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen